Die Kundenkommunikation über E-Mail ist für Stadtwerke Fluch und Segen zugleich: Einerseits erwarten Kunden schnelle, individuelle Antworten auf komplexe Anliegen wie Abschlagsänderungen, Zählerstandsübermittlungen oder Versorgungsunterbrechungen. Andererseits steigen die Volumina und der Bearbeitungsdruck kontinuierlich. Laut einer Studie von bitkom erhalten Energieversorger durchschnittlich über 65 % ihrer Serviceanfragen per E-Mail – mit stark steigender Tendenz in Zeiten hoher Marktunsicherheit oder regulatorischer Änderungen. Klassische Bearbeitungsprozesse stoßen hier schnell an ihre Grenzen.
Ein E-Mail Response Management System (EMRS) wird damit zur zentralen Schaltstelle für mehr Effizienz, Transparenz und Kundenzufriedenheit im digitalen Kundenservice.
Doch worauf kommt es bei der Auswahl eines EMRS wirklich an? Und welche Fehler gilt es unbedingt zu vermeiden?
Was ist ein E-Mail-Response-Management-System?
Ein E-Mail-Response-Management-System (EMRS) ist weit mehr als ein smarter Posteingang. Es handelt sich um eine spezialisierte Softwarelösung zur strukturierten, teilautomatisierten Bearbeitung großer E-Mail-Volumen – abgestimmt auf komplexe Prozesse und gesetzliche Anforderungen in regulierten Branchen wie der Energieversorgung. Typische Funktionen umfassen:
- KI-gestützte Klassifikation: Automatische Zuordnung von E-Mails zu Themen wie „Abschlagsanpassung“ oder „Zählerstand melden“.
- Antwortvorschläge per künstlicher Intelligenz: Unterstützung der Servicemitarbeitenden durch vorformulierte, situationsangepasste Antworten.
- Verknüpfung mit Fachsystemen: Anbindung an CRM-, ERP- oder DMS-Lösungen ermöglicht einen durchgängigen Serviceprozess.
- Dynamische Verteilung: Priorisierung und Weiterleitung nach Dringlichkeit, Kundengruppe oder Thema.
Der entscheidende Vorteil: Durch diese Automatisierung steigt nicht nur die Effizienz, sondern auch die Servicequalität – und das ohne zusätzliche Personalressourcen.
Worauf Sie bei der Auswahl einer Lösung zur E-Mail-Bearbeitung achten sollten
1. Branchenfit: Nur echte Energiekompetenz bringt Effizienz
Ein System, das Begriffe wie „Mahnsperre“ oder „Sperrankündigung“ als Freitext missversteht, kann keinen echten Mehrwert bieten. Stadtwerke benötigen Lösungen, die branchenspezifische Sprache, Prozesse und Eskalationslogiken verstehen. Achten Sie auf:
- Branchenreferenzen: Hat der Anbieter bereits erfolgreich mit kommunalen Versorgern zusammengearbeitet?
- Prozessorientierte Workflows: Sind energiewirtschaftliche Besonderheiten wie Netz- und Vertriebstrennung oder Mandantenfähigkeit berücksichtigt?
- Praxisnahe Vorlagen: Gibt es vortrainierte Templates und Klassifikatoren für typische Anwendungsfälle im Energieumfeld
Best Practice: Ein Stadtwerk in NRW konnte durch branchenspezifische Klassifizierungen die manuelle Vorsortierung um über 70 % reduzieren.
2. Datenschutz und Hosting: Compliance ist Pflicht
Kundendaten gehören zu den sensibelsten Informationen – insbesondere in der Daseinsvorsorge. Setzen Sie auf Anbieter, die:
- Hosting in Deutschland oder On-Premise anbieten
- DSGVO-konforme Prozesse garantieren
- Revisionssichere Protokollierung und feingranulares Rechtemanagement bereitstellen
Gerade bei kommunalen Unternehmen ist dies oft auch politisch ein Thema – und sollte frühzeitig mitgedacht werden.
3. Systemintegration: Kein Tool darf zur Dateninsel werden
Ein professionelles E-Mail-Bearbeitungssystem muss sich nahtlos in Ihre bestehende Systemlandschaft einfügen – andernfalls entstehen Medienbrüche und unnötiger Aufwand. Wichtige Punkte:
- Vorhandene Schnittstellen zu SAP IS-U, CRM-Systemen, DMS (z. B. ELO, enaio)
- LDAP-/AD-Anbindung zur Rechteverwaltung
- Flexible APIs, um auch künftige Systeme einfach anzubinden
Nur so entsteht ein durchgängiger und effizienter digitaler Kundenserviceprozess.
4. Erklärbare KI: Keine Blackbox im Kundenservice
KI muss nachvollziehbar und erklärbar sein – insbesondere im kommunalen Umfeld mit hohen Transparenzanforderungen. Achten Sie darauf:
- Werden Begründungen für Klassifikation und Antwortvorschläge mitgeliefert?
- Können Fachabteilungen KI-Entscheidungen trainieren oder korrigieren?
- Gibt es eine Audit-Funktion, z. B. zur Analyse von Fehlzuweisungen?
So behalten Sie stets die Kontrolle über die Automatisierung – und können diese aktiv weiterentwickeln.
5. Proof of Concept statt Ausschreibung von der Stange
Viele Anforderungen lassen sich nicht auf dem Papier evaluieren. Starten Sie mit einem strukturierten Pilotprojekt, z. B.:
- Testen Sie realistische E-Mail-Szenarien mit echten Anfragen
- Binden Sie Fachbereich und IT gleichermaßen ein
- Nutzen Sie den Proof of Concept, um Kernprozesse zu optimieren, bevor skaliert wird
Tipp: Einige Anbieter bieten POCs mit Erfolgsgarantie oder Bonusmodellen für eine spätere Einführung.
Diese Fehler sollten Stadtwerke vermeiden
✖ Chat-First-Lösungen wählen, wenn E-Mail dominiert
In vielen Stadtwerken macht E-Mail weiterhin über 60–80 % des gesamten Kontaktvolumens aus. Setzen Sie auf eine Lösung, die E-Mail als primären Kanal effizient abbildet – nicht als nachgelagertes Add-on.
✖ Nur auf Lizenzkosten achten
Der günstige Einstiegspreis sagt wenig über den Gesamtaufwand aus. Wichtiger sind:
- Aufwand für Integration und Datenmigration
- Schulungen und Change-Management
- Langfristige Betriebskosten und Supportqualität
✖ Fachbereiche ausschließen
Ein System, das nur aus IT-Perspektive ausgewählt wurde, wird im Alltag oft nicht akzeptiert. Erfolgreiche Projekte zeichnen sich durch interdisziplinäre Zusammenarbeit aus – von Beginn an.
✖ Zu komplex starten
Viele Einführungen scheitern an überambitionierten Projektplänen. Besser:
- Zunächst auf ein klar umrissenes Szenario fokussieren (z. B. Vertragsservice)
- Danach schrittweise ausbauen – Erfolge schaffen Vertrauen
Das Beste aus zwei Welten: Human + AI
Die Zukunft gehört hybriden Modellen, in denen KI den Menschen stärkt, nicht ersetzt. Die neue Rolle des Service-Mitarbeitenden wandelt sich:
- Der Mensch als Entscheidungstreiber
KI liefert Vorschläge, der Mensch entscheidet. Ob Eskalationen, Kulanzentscheidungen oder situatives Feingefühl – hier zeigt sich die Stärke menschlicher Urteilskraft. - Der Mensch als Empathieträger
Besonders in Branchen wie Energie, Gesundheit oder Telekommunikation braucht es Empathie, um sensible Anliegen zu bearbeiten. Die Rolle des Serviceagenten wird zur Vertrauensperson. - Der Mensch als Gestalter
Moderne KI-Systeme wie z. B. ReplyOne ermöglichen es heute, dass Mitarbeitende Leitlinien für Entscheidungen mitgestalten – und damit proaktiv Einfluss auf das Kundenerlebnis nehmen.
Erfolgsfaktor Unternehmenskultur
Technologie allein reicht nicht – Unternehmen brauchen eine Kultur, in der Technologie und Menschlichkeit gleichwertig gedacht werden:
- Schulungen für Mitarbeitende im Umgang mit KI
- Klar definierte Ethik-Standards im Einsatz von Automatisierung
- Partizipation der Mitarbeitenden an der Entwicklung von KI-gestützten Prozessen
- Transparenz gegenüber den Kunden, wann sie mit einer KI oder einem Menschen sprechen
Praxisbeispiele: So gelingt der hybride Kundenservice in der Realität
Energieversorger: Skalierung trifft Kundennähe
Ein mittelgroßer Energieversorger aus Deutschland integrierte 2024 eine KI-gestützte Lösung für den E-Mail- und Chat-Support. Das Ergebnis nach sechs Monaten:
- 85 % der Standardanfragen automatisiert beantwortet
- Bearbeitungszeit um 40 % reduziert
- Aufbau eines spezialisierten „Empathie-Teams“ für komplexe Fälle
- Kundenzufriedenheit über 92 % durch menschliche Nähe bei kritischen Anliegen
Versicherung: Komplexe Prozesse – verständlich gemacht
Ein großer deutscher Versicherer setzt seit 2023 auf eine hybride KI-Lösung, die Schadensmeldungen automatisiert vorqualifiziert und Mitarbeitende gezielt unterstützt.
- Automatisierung von über 60 % der Erstmeldungen über digitale Kanäle (z. B. E-Mail, App, Chat)
- Intelligente Weiterleitung an Spezialteams bei Verdachtsfällen oder emotionalen Anliegen
- KI unterstützt bei der Texterkennung von Dokumenten (z. B. Gutachten, Rechnungen)
- Ergebnis: Bearbeitungszeit bei Kfz-Schäden um 35 % gesenkt, gleichzeitig steigt die positive Bewertung der Kunden-Hotline deutlich
Der entscheidende Vorteil: Die Mitarbeitenden gewinnen mehr Zeit, um individuell auf Kunden einzugehen, besonders in belastenden Situationen wie Unfällen oder Krankheitsfällen.
E-Commerce: Geschwindigkeit ohne Verlust an Persönlichkeit
Ein führender Onlinehändler mit Fokus auf Consumer Electronics implementierte 2024 ein hybrides KI-System zur Bearbeitung von Kundenanfragen rund um Rücksendungen, Garantie und Zahlungsoptionen.
- 95 % der Rücksendeanfragen werden automatisch abgewickelt
- KI analysiert Stimmung in Kundenmails und leitet kritische Fälle an menschliche Agenten weiter
- Einführung eines Feedback-Moduls: Kunden geben pro Antwort Rückmeldung – Zufriedenheit im After-Sales-Support steigt um 28 %
- Agenten nutzen KI-Vorschläge zur Textgenerierung, personalisieren aber den Tonfall je nach Kundenhistorie
Ergebnis: Schnelligkeit + Empathie = Kundenbindung, auch in einem preissensiblen Markt. Diese Beispiele zeigen: Unabhängig von Branche oder Größe profitieren Unternehmen, die auf hybride Modelle setzen. Sie steigern Effizienz, entlasten ihre Teams – und sorgen gleichzeitig dafür, dass sich Kunden gehört und verstanden fühlen.
Checkliste: Was Unternehmen jetzt tun sollten
✔︎ KI-Potenziale im Kundenservice identifizieren
✔︎ Mitarbeitende im Umgang mit KI schulen
✔︎ Menschliche Touchpoints bewusst gestalten
✔︎ Transparente Kommunikation gegenüber Kunden sicherstellen
✔︎ Pilotprojekte für hybride Service-Modelle starten
Fazit: Zukunftsfähige Kundenkommunikation beginnt mit der richtigen Lösung
Die Auswahl einer intelligenten Posteingasverarbeitung ist keine reine Softwareentscheidung – sie ist strategisch. Sie entscheidet darüber, wie effizient, transparent und bürgernah Ihr Kundenservice in Zukunft arbeitet. Ein gut integriertes, branchenspezifisches System reduziert nicht nur den Bearbeitungsaufwand und steigert die Servicequalität, sondern stärkt auch das Vertrauen Ihrer Kunden in Ihre digitale Kompetenz.
Mit einem durchdachten Auswahlprozess, klaren Kriterien und dem Mut zu realistischen Pilotprojekten legen Sie den Grundstein für eine zukunftsfähige Kommunikation – und machen Ihre Serviceabteilung zur echten Schnittstelle zwischen Stadtwerk und Bürger.
